
Hintergrundfoto: Alfred-Wegener-Institut/Hendricks
Wissenschaft
Spitzenforschung fern der Heimat
Mit knapp 14.000 Kilometern ist die Entfernung von Berlin zur Antarktis-Forschungsstation Neumayer III ungefähr so weit wie der Weg von New York über Berlin nach Peking. Dennoch ist die Antarktis Deutschland näher als man denkt. Veränderungen in der Antarktis haben Auswirkungen auf das Klima weltweit. Auch in Europa bekommt man sie unmittelbar zu spüren. Sollten Teile des antarktischen Eispanzers künftig abschmelzen, würde das zu einem Anstieg des Meeresspiegels führen, wovon auch die europäischen Küsten betroffen wären. Die Polarforschung trägt entscheidend dazu bei, historische Klimaveränderungen zu verstehen und Prognosen über den künftigen Klimawandel zu verbessern. Deshalb betreibt Deutschland als einer der 29 Konsultativstaaten des Antarktis-Vertrags seit vielen Jahrzehnten intensiv Forschung in der Antarktis.
Die DDR war zuerst da
Ab 1959 nahmen ostdeutsche Forscher regelmäßig als Gastwissenschaftler an sowjetischen Antarktisexpeditionen teil. 1974 trat die DDR dem Antarktisvertrag bei und zwei Jahre später wurde die erste ganzjährige deutsche Forschungsstation „Georg-Forster“, benannt nach dem ersten Deutschen, der 1775 in Südgeorgien antarktischen Boden betrat, mit logistischer Unterstützung einer sowjetischen Forschungsstation in der Schirmacher Oase eröffnet. Hier führten ostdeutsche Wissenschaftler viele Feldmissionen und Forschungsprogramme durch, um die Meteorologie, Geologie und Biologie der Antarktis zu studieren. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden ost- und westdeutsche Forschungsprogramme mit dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) synergetisch zusammengeführt. Die Georg-Foster-Station selbst wurde Anfang der 1990er Jahre demontiert und heute ist von der ersten deutschen Station in der Antarktis nur noch eine geschützte Gedenkplakette übrig.
Die zentrale Drehscheibe der deutschen Polarforschung
Ein großer Schritt für die deutsche Polarforschung war die Gründung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven im Jahr 1980. Seitdem koordiniert und unterstützt das AWI die deutschen Polarforschungsaktivitäten. Die Fertigstellung der ersten Neumayer-Forschungsstation im Jahr 1981 ermöglichte es, dass deutsche Forscher-Crews fortan ganzjährig auf dem Eis in der Antarktis arbeiten können. Seit dem Jahr 2009 betreibt das AWI die Neumayer-Station III, die wie ihre Vorgänger nach dem Förderer der deutschen Südpolarforschung im 19. Jahrhundert, Georg von Neumayer (1826-1909), benannt ist. Für wissenschaftliche Meeresexpeditionen und logistische Versorgungsfahrten betreibt das AWI ferner den staatlichen Forschungseisbrecher „Polarstern″.
Der älteste Eiskern der Welt
Eines der derzeit interessantesten internationalen Antarktis-Projekte, an denen Deutschland über das AWI beteiligt ist, ist das Projekt „Beyond EPICA – Oldest Ice“ (BE-OI), gewissermaßen der Nachfolger des European Project for Ice Coring in Antarctica (EPICA), das von 1999-2008 durchgeführt wurde. Das Ziel des Vorhabens ist, den ältesten Eiskern zu erbohren, den es auf Erden gibt. Dieser soll, so die bisherigen Annahmen, bis zu 1,5 Millionen Jahre alt sein. Das Eis enthält Luft, die damals einfror und bis heute konserviert wurde. Schmilzt man das Eis, kann man messen, wie viel an Treibhausgasen die Atmosphäre damals enthielt – und daraus auf das damalige Klima schließen. BE-OI soll dazu beitragen, ein Rätsel zu lösen. Fachleute wissen heute anhand von Sedimenten vom Meeresgrund, dass es vor 900.000 bis 1.200.000 Jahren einen Wechsel im Rhythmus der Kalt- und Warmzeiten gegeben hat. Vor dieser Zeit wechselten sich Warm- und Kaltzeiten etwa alle 40.000 Jahre ab. Seitdem beträgt diese Periode etwa 100.000 Jahre. Sedimentkerne aus dem Meer enthalten keine Gase, sodass unbekannt ist, wie sich die Zusammensetzung der Atmosphäre damals geändert hat. Diese Daten soll BE-OI jetzt liefern. Das BE-OI-Team hofft auch, daraus Rückschlüsse auf künftige Klimaänderungen ziehen zu können. An dem Projekt sind Eis- und Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler von 14 Institutionen aus zehn europäischen Ländern beteiligt. Das AWI koordiniert das EU-Projekt.
Das Vergehen der Kontinente verstehen
Zu den deutschen Institutionen, die in der Antarktis aktiv sind, gehört auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Sie betreibt für Deutschland an der Terra-Nova-Bucht am Rossmeer die Gondwana-Station, die im Jahr 2016 umwelttechnisch modernisiert worden ist und vor allem für geologische und geophysikalische Arbeiten an Land genutzt wird. Die BGR ist seit mehr als 40 Jahren an mehreren langjährigen Forschungsprogrammen beteiligt. Der Fokus der Arbeiten liegt dabei auf der Ostantarktis und der Rossmeer-Region an der Grenze zur Westantarktis. Von besonderem Interesse sind Fragen zur Struktur, zum Aufbau und zur erdgeschichtlichen Entwicklung des antarktischen Kontinents. Dabei spielen grundlegende geodynamische Prozesse eine Rolle, die beispielsweise auch zur Bildung und zum Zerfall von Superkontinenten wie Gondwana oder Rodinia vor Millionen von Jahren geführt haben. Der Kontinent Antarktika befindet sich seit rund 70 Millionen Jahren an seiner isolierten Lage am Südpol, ein angesichts der Dynamik in der Plattentektonik unglaublich ausdauerndes Verhalten. Einst war der Kontinent das Herzstück Gondwanas und dessen Vorläufers, des Superkontinents Rodinia. Doch dann löste sich eine Landmasse nach der anderen und driftete davon. Um die Rolle von Antarktika im Erdsystem und die dynamischen Prozesse zu verstehen, die zur Entstehung der modernen Antarktis geführt haben, ist es ungemein wichtig, seine geologische Geschichte zu entschlüsseln. Zu diesem Zweck betreibt die BGR seit dem Jahr 1979 das geologische Forschungsprogramm GANOVEX (German Antarctic North Victoria Land Expedition). Bisher wurden 14 Expeditionen in diese Region unternommen.
Radardaten und Astronautennahrung
Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist in der Antarktis aktiv. Zusammen mit dem Bundesamt für Kartographie und Geodäsie unterhält es eine Station, die ganzjährig betrieben wird: die Radarstation GARS-O’Higgins an der Nordspitze der Antarktischen Halbinsel. Diese Station empfängt Daten des deutschen Erdbeobachtungssatelliten TerraSAR-X und des deutschen Radarsatelliten TanDEM-X. Im Hinblick auf die Polargebiete liefern beide wichtige Daten zur Eisbedeckung und Eisausdehnung. Bis zum Jahr 2019 hat das DLR an der Neumayer-Station III zudem das Projekt EDEN ISS betrieben. Dazu gehören Container, in denen Gemüse unter künstlichem Licht und mit einer Nährlösung statt mit Humus gezogen wird. Während der Projektlaufzeit wurde der Anbau höherer Pflanzen für künftige Raumstationen wie etwa auf dem Mars untersucht. So könnten derartige Anlagen nicht nur Lebensmittel liefern, sondern zur Verringerung der Kohlendioxid-Konzentration in den Stationen, zur Sauerstoffproduktion, zur Wasserwiederaufbereitung und für das Abfallmanagement genutzt werden. Zudem könnten sich Pflanzen an Bord positiv auf das psychologische Wohlbefinden der Besatzung auswirken. Zwar endete das Projekt offiziell im Jahr 2019. Das AWI und das DLR wollen die Anlagen künftig aber weiter betreiben – nicht zuletzt für die Versorgung der Forscherinnen und Forscher der Neumayer-Station.
